Kapital Kultur - Kulturhauptstädte Europas
„Die Kulturhauptstadt Europas ist das erfolgreichste Projekt der Europäischen Kommission im Kulturbereich, an dem bereits mehr als vierzig Städte Europas teilgenommen haben.“ – liest man auf der Homepage von Vilnius, das sich 2009 den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ mit Linz teilt.
1985 auf Vorschlag der griechischen Kulturministerin Melina Mercouri erstmals inszeniert, ziehen die jeweils für ein Jahr ausgezeichneten „Kulturstädte“ (bis 1999) beziehungsweise „Kulturhauptstädte“ inzwischen ein zunehmend feinmaschigeres Netz über die europäische Landkarte. Waren es zunächst glanzvolle Städte wie Athen, Florenz oder Paris, so werden inzwischen bevorzugt Städte auf die Bühne gebeten, deren kulturelle Potenz keineswegs im allgemeinen Bewusstsein ist.
Was erwartet man sich von Kultur, dass Stadt für Stadt nicht unerhebliche Anstrengungen unternommen werden, einer derartigen Auszeichnung gerecht zu werden? Was erwarten sich die Stadt- und Landespolitiker/innen, was erwarten sich die Kulturschaffenden? Image? Fördermittel?
Die Idee der Selbstvergewisserung einer Region, einer Nation oder gar eines Kontinents mittels Kultur ist so neu nicht. 1851 eröffnete im Crystal Palace im Hyde Park Londons die erste Weltausstellung, 2008 fand die Expo in Saragossa statt, für 2010 ist sie in China geplant; 1954 eröffnete in Brüssel die 1. Kunstausstellung des Europarates unter dem Titel „Humanistisches Europa“, 2006 war die 29. Ausstellung in Berlin und Magdeburg unter dem Titel „Das Heilige Römische Reich deutscher Nation 962–1806“ zu sehen.
Warum ein eigenes Themenheft zu diesem Phänomen? Es ist der Versuch, ein Stück Klarheit darüber zu gewinnen, welche individuellen und sozialen, geistigen und ökonomischen, emotionalen und intellektuellen Potentiale kulturelle Ausdrucks- und Kommunikationsformen möglicherweise bergen und wo falsche Erwartungen damit verknüpft werden. Wird Fremdartiges vertrauter und vertrauenswürdiger? Forciert Kultur notwendige Strukturmaßnahmen im städtischen Raum? Vermögen Kulturhauptstädte eine europäische Identität zu formieren?
Rein begrifflich lassen sich diese Fragen nicht beantworten. Richard Ferkl unternimmt eine visuelle Recherche und fügt die Beobachtungen zu einer Folie wachsender Verdichtung und Überlagerung. Martin Heller, Intendant von Linz09, wählt die Metapher der Erzählung: eine Stadt müsse sich erzählen können. Stephan Roiss textet ein fingiertes Biertisch-Gespräch, das den einfachen Mann von der Straße über Linz09 räsonieren lässt.
Dass Heft 1/09 von kunst und kirche die oberösterreichische Stadt Linz zum Ausgangspunkt einer Reflexion über Kultur nimmt, hat noch einen weiteren Grund: 2009 feiert der Diözesankunstverein Linz, einer der ältesten und bis zum heutigen Tag aktiven christlichen Kunstvereine und seit den Anfängen der Zeitschrift einer ihrer Träger, sein 150-jähriges Jubiläum – ihm ist ein eigener Beitrag gewidmet.
Monika Leisch-Kiesl