Dekor

02/2011
Dekor

Wer von ‚Dekor‘ spricht, tut dies in der Regel mit erhobener Augenbraue: „Bloßes Dekor“ sei dieses oder jenes. Will sagen: Oberfläche, leere Hülle – schnödes Beiwerk. Oder ästhetisch formuliert: gefällig, gefühlig, kitschig. Kurz: ‚Dekor‘ ist eine categoria non grata, insbesondere dort, wo es erklärtermaßen um Hohes und Tiefes gehen soll: In Kunst und Kirche.

Doch woher die Scheu? – Etymologisch gesehen handelt es sich beim ‚Dekor‘ im Sinne des decorums um nichts anderes als um das ‚Angemessene‘, das ‚Anmutige‘, die ‚Zierde‘, die uns – wahrnehmungsphilosophisch betrachtet – allererst die Dinge ins Auge fallen lässt (Bernhard Waldenfels) und dabei – bildtheologisch betrachtet – bisweilen eine geradezu subversive Eigendynamik entfalten kann (Philipp Stoellger). Dass das Dekorative dennoch zu einer der meistgefürchtetsten Urteile über ein Kunstwerk gehört, mag u. a. daran liegen, dass es als das ‚Angemessene‘ – verstanden als das ‚Angepasste‘ – dem Pathos künstlerischer Autonomie widerstreitet (Wolfgang Ullrich) und in Gestalt von religiösen Kunstreproduktionen eine Nahbarkeit entwickeln kann, die dem
Distanzcharakter von Kunst und Religion entgegensteht (Hannes Langbein): Altehrwürdige Kunstwerke wie Leonardo da Vincis „Abendmahl“ oder Albrecht
Dürers „Betende Hände“ (Karin Permesang) werden dann zu millionenfach verfügbaren Artefakten – zum Spott zeitgenössischer Künstler bzw. zum Schmuck privater Haushalte. Dort gelten dann weniger ästhetische als vielmehr biographische Maßstäbe, nach denen sich auch das objektiv grässlichste Dekor subjektiv noch als Sinn- und Erinnerungszeichen eines Lebens wertschätzen lässt (Inken Mädler) – und wertgeschätzt werden muss, sollen seelische Verletzungen vermieden werden. Schon aus diesem Grund ist die vielerorts zu beobachtende ‚Verwohnzimmerung‘ von Kirchenräumen – das Erscheinen häuslichen Dekors in Kirchenräumen – nicht nur ästhetisch, sondern auch gemeindepsychologisch ein heißes Eisen (Petra Bahr, Johannes Stückelberger, Alois Kölbl), wenn im Kirchenraum privater und öffentlicher Bereich sowie biographische und ästhetische Maßstäbe dekorvermittelt aufeinanderprallen. Häusliches ‚Amateurdekor‘ tritt dann in Konkurrenz zum ‚professionellen‘ Dekor der Liturgie, den vasa sacra, (Thomas Sternberg und Manfred Richter) und dem gebauten Dekor der architektonischen Innenraumgestaltung (Eva Maria Seng). Spätestens hier stellt sich die Frage, wie viel Dekor ein Sakralraum verträgt und ob wir gegenüber einer ‚Sakralität der Leere‘ nicht auch über eine ‚Sakralität der Fülle‘ nachdenken müssen (Friedhelm Mennekes).

Die Antwort auf diese Frage finden Sie in Briefform. Anderes als Erzählung (Klaas Huizing). Wieder anderes in Gesprächen (Gerlinde Miesenböck, Nadine Schneider, Tobias Rehberger, Katharina Grosse, Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger). Der Rest sind Bilder (Friederike Schinagl).

Hannes Langbein

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