Reibebaum Religion - Zum Beispiel Polen

03/2007
Reibebaum Religion - Zum Beispiel Polen

„Reibebaum Religion“ – das war für diese Zeitschrift immer wieder ein Thema, seit ihrem Bestehen. Sie zeichnete sie von jeher aus, sich Infragestellungen, ob subtil oder brutal, in gleichem Maße zu stellen. Im Zusammenwachsen Europas verschmelzen gerade in dieser Frage­stellung unterschiedliche Traditionen. Sie europäisch zu denken heißt, dass man sie nicht mehr aus der Religionskritik aus dem Geist der Aufklärung und der Frage nach der künstlerischen Autonomie gespeist allein diskutieren kann. Wir erleben unsere verschiedenen Identitäten zunehmend als Mischwald mit lokaler Färbung. Dies gilt nicht nur für den gegenwärtig so drängenden globalen Diskurs, sondern auch für europäisches Denken und Fühlen.
Dieses Heft stellt exemplarisch eine Auseinandersetzung mit Religion durch Gegenwartskunst in einem Land in den Mittelpunkt, das für den Rest Europas die Etikette „tief katholisch“ trägt: ein Land, das mit Hilfe der Religion schon immer Politik prägte und auch so politische Befreiung schaffte. Eine Nation, die mit Papst Johannes Paul II. eine Symbolfigur des Glaubens, der Identität und des Wider­stands zugleich hatte. Ein Land, das im vergangenen Jahr bis in die Spitzen des Staates und der Kirche immer wieder in die Schlagzeilen geraten ist und von Skandalen geschüttelt wurde. Es wundert nicht, dass gerade die Kunst sich am Nationalismus mit katholischer Einfärbung wie am Turbokapitalismus reibt, Verdrängtes ans Licht bringt, Missbrauch anprangert, Strukturen offen legt. Die öffentliche Auseinander­setzung mit solchen Infragestellungen scheint in Polen noch kämpferischer und intensiver ausgefallen zu sein als anderswo – Gerichte wurden belangt und Prozesse geführt –, umgekehrt ist das verwendete Vokabular der KünstlerInnen aus der katholischen Ikonografie und Tradition ebenfalls unvergleichlich.
Traditionelle Gläubigkeit und Kirchlichkeit mischen sich in Polen mit einer Vielzahl gesellschaftlicher und künstlerischer Neuaufbrüche, die im Zuge der EU-Erweiterung viele andere Städte Europas stimulieren. In diesem Heft von „Kunst und Kirche“ fragen wir nach der Innovationskraft künstlerischer Positionen, die unter dem Subtext eines stark katholisch geprägten Milieus entstanden sind: Herbe Konflikte mit der tradierten Bildwelt stehen Aufbrüchen und subversiven Transformationen in der jungen Kunst Polens gegenüber.
Mit den Beiträgen dieses Heftes, das sich nicht in die Reihe der „Länderhefte“ von „Kunst und Kirche“ einreihen lässt, waren wir nicht um Objektivität und Ausgewogenheit bemüht, sondern haben vor allem den KünstlerInnen und TheoretikerInnern der sogenannten „Kritischen Kunst“ in Polen seit 1989 Raum gegeben. Wir hoffen, damit einen stimulierenden Beitrag zu einer notwendigen Diskussion leisten zu können, die zwar in einer bestimmten gesellschaftlichen und nationalen Situation aufgeflammt ist, sich aber keinesfalls darauf beschränken lässt.

Johannes Rauchenberger, Alois Kölbl

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