Neue Orte für die Toten

03/2011
Neue Orte für die Totel

Die Bestattungskultur ist im Umbruch. Das traditionelle Erdgrab auf dem Friedhof hat zwar nicht ausgedient, doch gibt es heute dazu eine Fülle von Alternativen: neue Orte für die Toten wie Urnengräber, Urnenanlagen, Kolumbarien, Gemeinschaftsgräber, Aschenbeisetzungslandschaften, Begräbnis- oder Gedenkorte für totgeborene beziehungsweise frühverstorbene Kinder, Baumgräber, Friedwälder etc. Die heutige Bestattungskultur erfährt eine Diversifizierung, der Umgang mit Tod, Trauer und Gedenken entwickelt sich in Richtung Individualisierung.
Eine neue Form der Bestattung, die vor allem in Deutschland in den letzten Jahren eine immer grössere Verbreitung findet, sind Kolumbarien in Kirchen. Als Kolumbarium (der Name kommt vom lateinischen Begriff für Taubenschlag) bezeichnet man ein Gebäude, das der Aufbewahrung von Urnen dient. Die Bestattungsart war in der Antike verbreitet und wurde im 19. Jahrhundert wieder aufgenommen mit der Einführung der Feuerbestattung. Kolumbarien in Kirchen gab es jedoch bisher noch nicht. Es ist dies eine neue Entwicklung, die unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass für viele Kirchen neue Nutzungen gesucht werden. Den Kirchenkolumbarien sind die ersten drei Beiträge dieses Heftes gewidmet. Einen grossen Platz nehmen darin theologische Überlegungen ein zur Frage, worauf bei der Einrichtung von Kolumbarien in Kirchen zu achten ist (Helge Adolphsen und Insa Meyer-Rohrschneider). Der dritte Beitrag diskutiert die Kolumbarien in Kirchen aus einer soziologischen Perspektive und fragt nach dem Verhältnis von Beschleunigung und Entschleunigung im Umgang mit dem Tod (Laura Hanemann und Peter Schüz).
Einen zweiten Schwerpunkt im Thementeil bilden drei Beiträge zu weiteren neuen Formen der Bestattungs-, vor allem aber der Trauer- und Gedenkkultur. Dabei wird ein tendenzielles Auseinanderdriften von Bestattungsort einerseits und Trauer- und Erinnerungsort andererseits festgestellt. Die Bestattungsarten zeigen eine Tendenz zur Individualisierung, gleichzeitig wird die Trauer- und Gedenkkultur vermehrt öffentlich. Man spricht vom public mourning (Norbert Fischer). Die Spendertafeln auf dem Vorplatz der Hauptkirche St. Michaelis in Hamburg waren ursprünglich gedacht als Spendertafeln zur Sanierung des Turmes der Kirche. Heute werden sie dazu verwendet, um an Verstorbene  oder besondere Anlässe zu erinnern. Auch dies eine Form des public mourning (Alexander Röder). Um Erinnerung geht es schliesslich auch im Projekt „Mission Eternity“ der Künstlergruppe Etoy. Die Kernidee des Totenkultes dieses Projektes ist das digitale Porträt eines Menschen, das nach dessen Tod auf ewig im Netz zirkuliert: Totenkult im Informationszeitalter (Villö Huszai).
In den letzten Jahren sind zahlreiche Publikationen zu historischen Aspekten der Sepulkralkultur erschienen. Das Thema wird auch vermehrt an Tagungen diskutiert und ist Gegenstand von Forschungsprojekten: Zeichen eines neuen Interesses an Fragen des Umgangs mit dem Tod. Das vorliegende Heft ist ausschliesslich zeitgenössischen Phänomenen und Fragestellungen gewidmet. Es geht um die neuen Orte für die Toten. Der Thementeil ist umfangmässig etwas kleiner als die Thementeile früherer Hefte. Der Grund dafür sind die vielen eingegangenen Berichte.

Johannes Stückelberger

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