Kollektive Kunst

04/2019
kunst und kirche 4/2019

In unregelmäßigen Schüben gewinnt das Kollektive in den Künsten an Bedeutung: Nicht erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts finden sich Künstlerinnen und Künstler zu Künstlergruppen zusammen – im Gegenüber zu einer emphatischen Individualität und radikalen Autonomie der Künstlerpersönlichkeit. Seit einiger Zeit wächst ein neues Bewusstsein für Kooperation und Kollaboration in den Künsten: Flaggschiffe der Kunstwelt wie die kommende documenta werden von Teams kuratiert, die Kunsthalle Wien erhält eine Doppelspitze, politisch wirksame Formen von Kunst treten kollektiv auf…Welche Motivationen stecken hinter dem aktuellen Trend zum Kollektiv? Wie verhalten sich die neuen Kollektive zu ihren historischen Vorläufern? Wie verändert sich die Kunst und ihr Selbstverständnis im Kontext des Kollektiven? Und wie verändert sich das Verhältnis von Kunst und Kirche im Horizont des Kollektiven? – Wenn sich das „Konfliktverhältnis“ (Horst Schwebel) von Kunst und Kirche traditionell an ihrer wechselseitigen Autonomie entzündete und sich künstlerische Individualität und kirchliche Kollektivität aneinander rieben, muss das Verhältnis von Kunst und Kirche neu und anders geschrieben werden? kunst und kirche 4/2019 geht diesen Fragen nach: Mit einem kunsthistorischen Rückblick auf Formen künstlerischer Kollaboration vom 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart (Rachel Mader) und einer theologischen Verhältnisbestimmung partizipativer Theaterarbeit und partizipativer Kirchentheorie (Joachim von Soosten). Es folgen exemplarische Vorstellungen von zeitgenössischen Künstlerkollektiven, die ein Panorama auf unterschiedliche Gemeinschaftsformen in den verschiedenen Kunstgattungen öffnen: Angefangen bei losen Konstellationen im Bereich der bildenden Kunst in geteilten Ateliersituationen (Malzfabrik) bis hin zu stabileren Kollaborationsformen im Bereich von Theater, Performance, Kuratur und politischem Aktivismus (Rimini Protokoll, Hobbypopmuseum, Raqs, Ruangrupa, Zentrum für politische Schönheit). In der Zusammenschau zeichnet sich ein heterogenes Feld unterschiedlicher Kollaborationsformen mit unterschiedlichen Motivationen zur künstlerischen Zusammenarbeit ab: Sei es, wenn sich Künstlerinnen und Künstler aus pragmatischen Gründen persönlich, technisch oder mit Blick auf die Dynamiken des Kunstmarktes unterstützen (Malzfabrik), sei es, wenn Künstlerinnen und Künstler ideell nach Alternativen zu individualistisch orientierten Kunstverständnissen suchen (u. a. Rimini Protokoll). Auch der Blick auf gesellschaftliche Werte wie Großzügigkeit und Vertrauen (Ruangrupa) spielt eine Rolle – nicht zuletzt auch die politische Wirksamkeit des eigenen künstlerischen Handelns (Zentrum für politische Schönheit). Am Ende steht die Frage nach einem veränderten Verhältnis von Kunst und Kirche (Langbein): Wenn mit Blick auf die im Heft versammelten Positionen davon auszugehen ist, dass kollektive Formen künstlerischen Arbeitens aktuell mehr und mehr Raum gewinnen, dann zeichnen sich potentiell auch neue Konstellationen zwischen Kunst und Kirche ab: Das Verhältnis Individuum (Künstler*in) und Gemeinschaft (Kirchengemeinde) wäre dann neu als ein Verhältnis zweier Gemeinschaftsformen zu verstehen. Das Kirchenverständnis des protestantischen Theologen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher und das Beuyssche Verständnis der Kunst als Arbeit an der „sozialen Plastik“ bietet einen Ausgangspunkt, dieses Verhältnis neu zu bestimmen.

Hannes Langbein und Thorsten Nolting

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