Corona

04/2020
kunst und kirche 4/2020

Christoph Schlingensief erzählt in einem Interview, dass seine Eltern bei einer Papst-Messe während der Wandlung in ihrem Wohnzimmer vor dem Bildschirm knieten. Die Einsetzungsworte aus dem TV-Lautsprecher wandeln dann Brot und Wein in Leib und Blut Christi. Medientechnisch ist das denkbar, kirchenrechtlich aber höchst bedenklich. Es braucht keine Corona-Epidemie, um Theolog_innen medial auf neue Ideen zu bringen. Corona hat das Tempo nur beschleunigt. Sieht man die neuen Formate und Ideen, die Katharina Scholl aufgespürt hat, fragt man sich, was den Kirchen eigentlich fehlt. Wie Thorsten Nolting zeigt, haben Diakonie und Caritas ihre Arbeit im Lockdown nicht eingestellt. Auch Telefonseelsorge und Krankenbesuche bleiben ein systemrelevanter Beitrag der Kirchen zur Bewältigung der Krise. Woher also kommt das Gefühl der Ohnmacht? Ist es die Umstellung von Nähe auf Distanz, die Marie Kollenbrock analysiert? Könnte sich die Zukunft der Eucharistie im Wohnzimmer der Schlingensiefs gezeigt haben? Unbestritten behindert Corona den christlichen Gottesdienst. Aber so wichtig die face-to-face Formate für das Selbstverständnis der Kirchen sind, sie waren schon vor Corona in der Krise. Die Pandemie verschärft nur, was sich schon lange abzeichnet: Die Darstellungsformen der Kirche brauchen ein Update. Der mediale Innovationsschub, den Corona erzwingt, könnte für die Kirchen auch ein Segen sein. Geht es den Künsten dabei anders? Mit dem Verbot von Veranstaltungen brechen institutionell nicht abgesicherten Künstler_innen die Existenzgrundlagen weg. Schon zu Beginn des ersten Lockdowns wurden Aufführungen ins Virtuelle zu verlegt. Aber die meisten Künste brauchen die körperlichen Präsenz der Künstler_innen und des Publikums. Das Streamen von Events in den Sozialen Medien bleibt ein schwacher Trost. Andererseits berichten viele Akteure, dass sich in der Zeit der Isolation nicht viel geändert hat, da sie oft alleine im Atelier, am Schreibtisch, im Studio arbeiten. Einige empfanden die Situation sogar als eine förderliche Entschleunigung. Kaum verändert hat sich die Situation auf der Straße. Die neue Mitherausgeberin von kunst und kirche, Ilaria Hoppe (KU Linz). gibt in dieser Ausgabe einen Einblick in ihren Forschungsschwerpunkt Street Art. Diese Form urbaner Kreativität entsteht häufig anonym und reagiert äußerst schnell auf neue Situationen. Dabei entstanden weltweit kritische, humorvolle oder auch emotionale Bilder, die einen innovativen Umgang mit der Epidemie zeigen. Die Welt wird nach Corona nicht mehr dieselbe sein. Wie die Kunst und die Kirchen auf diese Krise reagieren, welche Symptome sie entwickeln und welche Therapien, macht dieses Heft von Kunst und Kirche zum Thema.

Die Herausgeber_innen Ilaria Hoppe und Thomas Erne

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